Die Motorradindustrie und der Verkauf von Neumotorrädern in Europa erleben gegenwärtig einen Aufschwung, so wie es in zahlreichen Nachrichten verkündet wird. Doch sollte der Anstieg der Verkaufszahlen im Jahr 2023 wirklich Grund zur ungetrübten Freude sein?
In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die gegenwärtige Situation der Motorradbranche und die Unsicherheiten, mit welchen sich die Unternehmen dieses Marktes messen müssen.
Wie viele Motorräder wurden 2023 verkauft?
Zu Beginn des Jahres 2023 waren in der Bundesrepublik etwa 4,91 Millionen Krafträder für den Straßenverkehr zugelassen, eine Zahl, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Laut aktuellen Daten des Verbands der europäischen Motorradhersteller (ACEM) verzeichnete der europäische Motorradmarkt von Januar bis September 2023 einen beeindruckenden Zuwachs der Neuzulassungen um 11,8 %. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 873.985 neue Motorräder zugelassen (davon in Deutschland 190.490 Einheiten, ein Zuwachs um 9,6 %), verglichen mit 781.839 im gleichen Zeitraum des erfolgreichen Jahres 20221.
Doch diese Zahlen spiegeln nicht die tatsächliche Situation der Unternehmen wider, die in der Motorradbranche tätig sind. Auf der einen Seite Rekordverkaufszahlen von neuen Motorrädern, auf der anderen Seite jedoch neue Probleme für die Unternehmen der Branche. Aber worüber genau sprechen wir, wenn wir von Unsicherheiten auf dem Motorradmarkt sprechen?
Was sind die Gründe für die Unsicherheiten in der Motorradbranche?
Die wirtschaftliche Lage der Unternehmen verschärft sich, und das Insolvenzrisiko wächst. Laut aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts steigt die Zahl der monatlichen Regelinsolvenzen. Anhand von Beispielen der Unternehmen, die mit der aktuellen Marktsituation zu kämpfen haben, werden wir die Gründe ermitteln.
Die KSR Group, ein führender Motorradimporteur in Europa und ein Vorzeigeunternehmen der Motorradbranche, hat Insolvenz angemeldet. Zusammen mit KSR geht auch die Eigenmarke Brixton, ein bekannter Motorradhersteller, in die Insolvenz. Ein komplexes Zusammenspiel von Pandemiefolgen, geopolitischen Spannungen und wirtschaftlichen Faktoren machte dem Unternehmen zu schaffen.
Aufgrund von Lieferengpässen bei Bauteilen und Akkus geriet der Elektrorollerhersteller Kumpan Electric in Schwierigkeiten bei der Produktion. Die erheblichen Anstiege der Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs verschärften die finanzielle Lage des Unternehmens zusätzlich. Als Reaktion auf diese Herausforderungen meldete Kumpan Electric Insolvenz an. Das Unternehmen wurde mittlerweile von der indischen Lohia Group übernommen, die plant, die Geschäftsaktivitäten fortzusetzen. Es bleibt jedoch unsicher, ob die Elektroroller weiterhin auf dem Markt Anklang finden werden.
Die etablierte Firma „Motorrad Finkl“ hat Insolvenz angemeldet, wie in den Pressemitteilungen zu lesen ist. Als Vertragshändler für Yamaha, KTM, GasGas, Aprilia und Vespa sah sich das Unternehmen aufgrund der zögerlichen Kaufbereitschaft der Kunden seit dem Beginn des Ukrainekriegs, dem verzögerten Start der Saison 2023 und erheblicher Kostensteigerungen gezwungen, diesen Schritt zu gehen.
Denselben Weg musste „Motorrad Christiansen“ (ein Händler in Münster) wegen der Kaufzurückhaltung in der Corona-Pandemie und steigenden Kreditkosten das Unternehmen schließen.
Manche Unternehmen versuchen sich noch am Markt zu halten, indem zum Beispiel der Geschäftsumfang reduziert wird. Als ein Beispiel kann die Firma „Zweirad Ginzinger“ genannt werden. Das Unternehmen hat sich entschieden, die Filiale in Kundl (Österreich) zu schließen und die Kundenbetreuung nach Innsbruck und Salzburg zu verlagern. Die genauen Gründe für diese Maßnahme wurden nicht offengelegt, jedoch liegt die Vermutung nahe, dass sie ähnliche Ursachen wie jene Unternehmen haben, die bereits Insolvenz anmelden mussten.
Das sind nur einige der Beispiele von Unternehmen aus der Motorradbranche mit Existenzproblemen. Als Hauptgründe für die schwierige Situation können wir daher Pandemiefolgen, geopolitische Spannungen, Lieferengpässe, Anstiege der Energiepreise und anderer Kosten, zögerliche Kaufbereitschaft der Kunden und steigende Kreditkosten nennen. Die Kreditkosten sind nicht nur ausschlaggebend für die Unternehmen, sondern auch für potenzielle Kunden.
Ein Motorrad ist ein teures Hobby, was sich nicht jeder leisten kann. Für diejenigen, die den Wunsch nach einem neuen Motorrad verwirklichen möchten, ist es in den meisten Situationen üblich, auf ein Finanzierungsangebot in Form eines Kredits zurückzugreifen. Dies liegt daran, dass, wenn man gerade nicht über beträchtliche Ersparnisse verfügt, oft eine zusätzliche finanzielle Unterstützung erforderlich ist, um das gewünschte Motorrad erwerben zu können.
Der derzeitige effektive Jahreszins für Ratenkredite beträgt im Durchschnitt 8,61 %. Die Bandbreite der Zinssätze erstreckt sich von 6,89 % bis 14,94 %. Im Vergleich zum Vorjahr, als die durchschnittlichen Zinsen bei 6,8 % lagen, ist eine deutliche Steigerung zu verzeichnen.2 Aufgrund dieser ansteigenden Kreditkosten entscheiden sich momentan weniger Kunden für den Kauf eines Motorrads. Sollte jedoch das Leitzinsniveau in absehbarer Zeit sinken, könnten sich die Aussichten für die Motorradbranche wieder verbessern, da niedrigere Zinsen potenziell zu einer Belebung des Marktes führen könnten.
Die Tatsache, dass etablierte Händler Insolvenz anmelden müssen und viele nur noch durch Serviceleistungen sowie den Verkauf von Ersatzteilen und Zubehör überleben können, anstatt durch den Verkauf von Neufahrzeugen, sendet keine positiven Signale für die Branche aus.
Eine Vielzahl von Motorradfahrern besucht Händler und Werkstätten ohne konkreten Anlass, einfach um sich über Neuigkeiten rund um ihr Hobby zu informieren. An sonnigen Samstagen ist in manchen Motorradgeschäften reges Treiben zu verzeichnen. Wenn solche Händler jedoch bankrottgehen, ist nicht jeder Kunde bereit, zu einem weiter entfernten und unbekannten Händler derselben Marke zu wechseln. Dies könnte zu einem Markenwechsel oder sogar dem Aufgeben des Hobbys führen. Es fällt auf, dass gerade auch die Motorradhersteller ihren Markenhändlern mit anspruchsvollen Verträgen, schmalen Gewinnspannen und strengen Vorgaben das Leben schwer machen.
Wie wird sich der Motorradmarkt in den nächsten Jahren entwickeln?
Obwohl die Motorradindustrie in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung verzeichnete, zeichnen sich für das Jahr 2024 möglicherweise neue Herausforderungen ab. Die anhaltende Zurückhaltung der Verbraucher beim Ausgeben ihres Geldes könnte sich negativ auf die Branche auswirken. Die unsichere wirtschaftliche Lage könnte zu einem weiteren Rückgang der Nachfrage führen, was zu Preisverfall und einem schwierigen Marktumfeld führen könnte.
Die Preise für Motorräder könnten aufgrund der schwachen Nachfrage weiter sinken, während die Produktionskosten aufgrund verschiedener Faktoren, wie etwa steigender Rohstoffpreise, Arbeitskosten oder anderer betrieblicher Ausgaben, hoch bleiben. Diese Diskrepanz zwischen fallenden Verkaufspreisen und hohen Produktionskosten könnte zu finanziellen Engpässen führen, insbesondere für Importeure und Händler.
Die Margen könnten für viele Akteure in der Motorradindustrie möglicherweise nicht ausreichen, um rentabel zu bleiben. Diese Herausforderung erstreckt sich über die gesamte Wertschöpfungskette, von der Produktion bis zum Verkauf. Hersteller könnten gezwungen sein, kostensenkende Maßnahmen zu ergreifen, Importeure könnten Schwierigkeiten haben, ihre Bestände zu veräußern, und Händler könnten mit einem rückläufigen Absatz konfrontiert sein.
Ein Problem, was die Motorradbranche in den nächsten Jahren noch härter treffen könnte – der Umstieg auf alternative Antriebsquellen. Der Verkauf von Elektromotorrädern in Westeuropa ist deutlich rückläufig. Trotz der Bemühungen der europäischen Behörden, die Bevölkerung für Elektromobilität zu gewinnen, lässt sich feststellen, dass das ursprüngliche Interesse an Elektromotorrädern nach einem anfänglichen Boom nachgelassen hat. Gemäß den neuesten Statistiken ist der Verkauf von Elektromotorrädern in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 auf den als Vorreiter für alle Arten von Veränderungen im Fahrzeugbestand geltenden Märkten in Westeuropa um 20 Prozent zurückgegangen3. Die Skepsis hat ihre Folgen für die Zukunft. Wird sich der Elektroantrieb durchsetzen? Oder ist eine Suche nach Alternativen der Schlüssel zum Erfolg? Diese Fragen können wir zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten.
Es ist wichtig zu betonen, dass dieser Ausblick auf die nächsten Jahre auf Annahmen basiert und von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden kann, darunter globale wirtschaftliche Entwicklungen, politische Entscheidungen und externe Schocks. Die Motorradindustrie wird wahrscheinlich flexibel reagieren müssen, um sich den Herausforderungen anzupassen und langfristige Strategien zu entwickeln, um in einem volatilen Marktumfeld erfolgreich zu bestehen.
Fazit
Sollte die wirtschaftliche Lage in Deutschland nachlassen, könnten die Verkaufszahlen von Motorrädern sinken, da Motorräder heute nicht mehr als Notlösung in schlechten Zeiten, sondern vielmehr als kostspieliges Hobby betrachtet werden. Kaum jemand über 18 Jahre nutzt heutzutage ein Motorrad für alltägliche Fahrten.
Es ist ebenfalls festzustellen, dass der Motorradverkauf eng mit der konjunkturellen Entwicklung verknüpft ist. Obwohl in letzter Zeit einige attraktive und preisgünstige Modelle auf den Markt gekommen sind, bleibt die Akzeptanz des Motorrads in Deutschland eher begrenzt. Wer schon einmal in Italien oder Spanien war, weiß, was wahre Begeisterung für Motorräder bedeutet. Trotz der großen Anzahl von Motorradbesitzern in Deutschland gibt es immer noch einen zu hohen Bevölkerungsanteil, für den das Motorrad negativ konnotiert ist. Und das muss sich ändern.
3 Motorcycles Data: https://www.motorcyclesdata.com/2023/12/04/european-electric-scooter-and-motorcycles-market/
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